Regine Steenbock verlässt sich in ihrem >Chinesischen Gewebe>, des chinesischen Sprachgewebes nicht mächtig, auf die Sprache der Mode. Staunend, befremdet, überwältigt steht sie inmitten von »Globalization«- und »One World«Beschwörungen einer radikal fremden Welt gegenüber, deren Codes ihr und uns schillernd undurchsichtig sind. Wir treffen auf eine bizarre Mischung von Hightech und Lokal-Ethnischem. Die Globalisierung hat zum einen Lookalikes hervorgebracht: Jugendliche, die sich wenig von ihren Counterparts in, sagen wir Michigan oder Bielefeld, unterscheiden. Und rollenflexibel von ihrer traditionellen Kleidung in moderne Kleidung schlüpfen. Während auf der anderen Seite die »Mysterious Customs« der in Trachten verpackten „Minderheiten“ den chinesischen Touristen der affluenten Ober und Mittelschicht als unterhaltsame Staffage für ein ultrakitschiges folkloristisches Theater dienen. Aber: Manchmal sind die Miaostickereien auch so kunstvoll, dass Hermès (China) sie sponsert.

Die Ordnung der Dinge kann man in dieser von Ornamenten überfließenden, vollgestopften Welt zunächst nicht ergründen. Beim Lesen von Steenbocks lakonischen Texten, beim Betrachten dieser Fotos werden einige an die Chinesische Enzyklopädie denken, die Michel Foucault nach Borges zitiert. Die Ordnungskriterien, etwa der Tierwelt, sind nicht die von Buffon oder Linné, die uns als die natürlichsten der Welt erscheinenden, sondern: »a) Tiere, die dem Kaiser gehören b) einbalsamierte Tiere c) gezähmte d) Milchschweine e) Sirenen« etc.

Auf einer Reise durch die verwirrende, auch verwirrend schöne Bilder- und Textilwelt verstärkt sich der Eindruck, dass nicht die Pop-Moderne in China angekommen ist. Vielmehr ist die Pop-Moderne spurlos von der chinesischen Mythen- und Symbolwelt aufgesogen worden. Hier gibt es kein Vor- und Nachher, keine Suche nach der verlorenen Zeit, und auch nichts Sentimentalisches, sondern alles ist gleichzeitig jetzt in ständiger, geschmückter Verwandlung. Die wunderbarste Anverwandlung von allem an alles geschieht im Zeichen des Schmetterlings; denn die Schmetterlingsmutter – was für ein Wort – gilt den Miaos als Urahnin allen Seins. In ungezählten Mustern in dieser Kultur verehrt, ist das Bizarrste vielleicht die Schmetterlingscamouflage: Wie der Schmetterling mag der so Camouflierte dem Krieg entkommen.

Barbara Vinken, München, den 21. März 2020