Mobilé

Es gibt nur wenige Stellen am Körper die sich dafür eignen etwas daran aufzuhängen:
Die Schultern, die Taille und die Hüften. Leute mit starken Waden können auch kurz unter dem Knie noch etwas anbinden aber da wird es schon kritisch um nicht zu sagen albern, denn es geht nicht ums festzurren – das kann man überall – sondern darum, wo man etwas aufhängen kann – frei. Wie an einem Mobilé sollte eine Harmonie der Teile walten, da andernfalls das Ungleichgewicht den Träger zu Fall bringen würde, und sei es nur ästhetisch.
Da es nun nur diese drei Positionen gibt an der sich Wäsche aufhängen lässt und der menschlichen Spezies auf kurze Frist auch kein weiterer Arm wachsen wird oder ein praktischer Greifschwanz mit dem man etwa sein Mobiltelefon bedienen könnte, ist die Entwicklung von Kleidung, anders als in der freien Kunst, begrenzt auf eben diesen menschlichen Körper.

Was tun?
Was tun mit dem kanonisch in der ganzen Welt bekannten figurnahen Ding, zum Beispiel einem engen Rock? Man kann einfach ein Vorder- und ein Hinterteil zusammennähen, es an der Taille aufhängen und fertig. Man kann aber eben auch, und das ist Programm bei SIUM, einen vielteiligen Schnitt entwickeln, der von der Hüfte schräg hinab zum hinteren Saum kurvt und von dort wieder nach vorne aufsteigt. Man gewinnt dadurch, unter anderem, einen Platz für eine versteckte Tasche vorne, ein ungeheuerlich definiertes Hinterteil (was will man mehr, zu den Schlüsselreizen komme ich noch) und wegen der diagonal laufenden Stoffe, ein sehr präsentes Körpergefühl, da der Stoff nicht fadengerade herabbaumelt, sondern der Trägerin folgen muss mit jeder ihrer Bewegungen. Das Bild hinkt, aber man könnte sagen, SIUM Kleider haben keinen Anfang und kein Ende, dort wo man mit Recht den Schluss vermutet, am Bund oder am Saum, steigen und fallen die Linien der Kleidungsstücke immer wieder zu einer neuen Runde um den Körper. Eine ironische Zirkularität die immer aufs Neue die Begrenztheit der Mode umspielt, wozu eben auch die Bedürfnisse der Trägerinnen zählen: Ich will ein Kleid haben mit dem ich sowohl in die Oper gehen als auch Fahrradfahren kann. Ich brauche außerdem unbedingt einen Platz, wo ich meine Hand hin stecken kann, das habe ich mir angewöhnt bei Jeans. Und vor allem: Ich will natürlich gut aussehen – da sind sie, die Schlüsselreize.

SIUM bewegt sich in der Entwicklung von Kleidung aufmerksam entlang solcher Wünsche, soziologischen Entwicklungen die unmerklich verlaufen, und erst über einen längeren Zeitraum betrachtet frappierend sind, denn das Bedürfnis nach Fahrrad und Oper an einem Nachmittag im selben Kleid, ist vergleichsweise neu, genauso wie die Flegelei, die Hand in der Tasche zu halten, erst seit kurzem „OK“ ist. SIUM folgt diesen Phänomenen, trumpft damit aber nicht auf. Die Kleider unterliegen einem tieferen, konzeptionelleren Interesse. Es weißt eher in Richtung Suprematismus. Es geht um Grundformen die variiert werden wollen, darum, die notwendige Beschränktheit der Mode diagonal zu umspielen.

Nora Sdun
über Sium No 22, November 2011