Regine Steenbock
LANDS OUTSIDE

I would rather he remember me the way I was.

 

 

 

27.3.2017, Chengyang

 

(……) Aus Furcht vor einer weiteren karnevalesken Trachtentanzvorführung ergreife ich die Flucht und wandere einige Zeit  hinaus über die Landstrasse ins nächste Dorf. Architektonisch weitaus unspektakulärer: ein Großteil der Holzhäuser hat zwar den ersten, aber nicht mehr den zweiten großen Sprung nach vorne  überlebt und wurde durch recht unsentimentale, meist noch unverputzte Stein- und Betonbauten ersetzt.

In der Ferne: eine Ansammlung von Autos, eine wartende Menschenmenge, weiß bebändert. Ich befürchte schon die nächste Trachtengruppe. Doch es geht weitaus weniger pittoresk zu, was auf ein normales Ereignis schließen lässt.

Am Strassenrand stehen Schaulustige zwischen einer Ansammlung von Motorrädern und parkenden Autos, jeder  mit einer weißen , geisterhaften Stoffschleppe gekennzeichnet:  entweder über die Allerwelts-Alltagskleidung  um die Taille gebunden oder wie´s  kommt, um den Kopf geschlungen..

Das Zentrum des Geschehens spielt sich  jenseits eines kleinen Baches ab , der die Straße säumt: Vor einer geöffneten Haustür drängt sich eine ebenfalls bebänderte Menschenmenge. Lebhaftes Kommen und Gehen.  An einer Wasserstelle waschen derweil  ein paar  Frauen eifrig Gemüse, neben dem Haus wird eine Kochstelle befüttert und  aus den Fenstern luken weiß betuchte Hinterköpfe. Munteres Geschwätz : ein Essensgelage? Zeichen und Wunder bleiben undurchschaubar. Ich stelle mich an den Rand des Geschehens. Die entspannte Neugierde mit der ich beäugt werde entlastet mich von meinen Skrupeln und ich  beginne  das Mysterium fotografisch zu dokumentieren, um mir vielleicht später einen Reim draus zu machen.

Keine englischsprechende Nasenspitze weit und breit. Ich zücke mein umständliches Wörterbuch. – Vermute „wedding“, aber mein Nachbar, verzweifelt über unsere gemeinsame Kommunikatinsunfähigkeit, entlockt seinem smartphone das Wort „die“. Ich bin etwas betroffen, aber das fröhliches Geschnatter um mich herum entbehrt  jeder Todesehrfurcht.

Leute verschwinden im Haus, andere kommen raus. Nun kündigt sich Bewegung an. Lautes Geböller, Räucherstäbchen, Smartphones.  Zwei Musikanten mit spärlich quäkenden Blechtröten vorneweg, ein Anderer trägt offenbar ein Foto des Verstorbenen . Dann, unter kurzem markerschütterndem Klagegeschrei, wird der Leichnam aus dem Haus getragen: eingewickelt in indigoblau glänzende Baumwollstoffe, die überall in den Dörfern der Dong hergestellt werden.

Ich wundere mich über einen ordinären Regenschirm, der über die Klagenden und den Toten hinweg aufgespannt wird. (als Sichtschutz für die Trauernden?) Später finde ich heraus, dass es sich wohl um den magic parasol  für Sasui – die heilige Grossmutter – handelt.  Sasui ist die wichtigste Gottheit der Dong . Kein Wunder, wo doch die Großmütter bereits im Diesseits die Kinder wohl behütet auf ihrem Buckel durch die Welt tragen.

Dichtes Gedränge auf der Strasse – ich sehe kaum noch was über die Köpfe hinweg. Klageschreie, rituelles Wutgestampfe, eine Strohpuppe und der Tote (ob ich´s richtig sah ?? möchte ich nicht beschwören ) werden in die Luft geschleudert.  Irrationale Ergriffenheit treibt mir unweigerlich die Tränen ins Auge..- ich kenne den Toten ja nicht, aber die Trennung vom Leben oder Geliebten kann schließlich jeden jederzeit erwischen.. – Man beobachtet mich amüsiert.

Container voll mit gebratenen Enten werden derweil herbeigeschleppt, während der Trauerzug, eingenebelt von Böllerwolken, über die steilen Treppen durchs Dorf hinauf in der Höhe verschwindet. Einige bleiben zurück,  versuchen lachend und palavernd mir etwas Unmißverständliches verständlich zu machen.: später gibts was zu essen!

Ich schlendere, noch etwas benommen, durchs Dorf an einer monströsen  und lautstarken Schaukelpferdmaschinerie vorbei, in der sich gerade ein kleiner Junge, umringt von ein paar heiligen Großmüttern, mit apathischem Blick durchschunkeln läßt.

Irgendwann stoße ich über Umwegen auf die Spuren des Trauerzugs:  rotes Böllerpapier, überall verstreut gelbe Papierblätter. Ab und zu liegen abgelegte Kleidungsstücke auf den Sträuchern, die mir affiziert von Verzauberung der Ereignisse,  als ein bedeutungsschwangeres Mysterium erscheinen.

Der Weg geht hoch in die Berge. Dunstiger Fernblick über eine äußerst lieblich in Frühlingsfarben getauchte Terrassenlandschaft.  In der Ferne der dahin mäandernde   Trauerzug – die ersten kommen schon zurück und grüßen fröhlich.

Bin zwar beschämt über meine mir etwas taktlos erscheinende Neugierde, möchte aber doch gerne wissen wie und wo der Tot hier nun endet. Warte also ab, bis alles still ist. – Kein Mensch mehr zu sehen außer einem unbeteiligtem Teepflücker, der Blättchen für Blättchen grünen Tee einsammelt und unter seinem großen Hut allmählich in der Landschaft versinkt.

Oben auf dem Berg, am Feldrand, eine kleine bescheidene Rauchfahne. Da liegt er: Ein papier-bespickter Ast markiert das frisch geschichtete Grab meines unbekannten Toten. Eine plattgetretene Wiese mit ein paar zurückgebliebenen Plastikwasserflaschen bilden die Relikte der Feierlichkeiten. Eine zart vor sich hin kokelnde Girlande und ein seeliger Blick in die Ferne.

Auf dem Rückweg finde ich neben den Fußspuren der entschwundenen Trauergemeinde eine mysteriöse Botschaft mit dem Bild eines blondgefärbten chinesischen Popstars :

I would rather he remember me the way I was.

 

Die Kleidungsstücke sind aufgesammelt, im Dorf angekommen geht das Essensgelage dem Ende zu. Eine alte Frau kommt mir entgegen, nimmt ihr weißes Band ab und verstaut es im Korb.

Fini!