Regine Steenbock
LANDS OUTSIDE

Xintang – International City of Jeans

 

Ich wollte unbedingt nach Xintang – in die Stadt in der nahezu die Hälfte der 1,3 Milliarden jährlich produzierten Jeans hergestellt werden. Ich war zugegebenermaßen mit reichlich Bildern und Informationen aus dem Internet vorgeprägt. Das hartnäckigste Bild von 2003 aus einer Greenpeace Studie von 2011 : wie sich in Xintang die dunkelblaue Brühe des einen Flusses in die grüne Brühe des anderen ergießt, dazu Fotos von Arbeitern mit Atemmasken, Kindern neben Jeanshaufen in dunklen, dreckigen Fabrikräumen – kurz und gut: märchenhafte Gleichnisse des Grauens, die einen schnellstens zum Guten bekehren. Und dies zu tun fühlte ich mich meinen chinesischen Studenten gegenüber irgendwie verantwortlich und wollte nun eine Exkursion dorthin vorbereiten..

 

Was ich vorfand war dann alles erstmal etwas Unspezifischer. Oder wie Tianjiao (meine Assistentin an der Uni) es ausdrückte: „Just a normal ugly city. – no reason to go there.“

Als ich am Busbahnhof aus dem Bus stieg, war dicke Luft, das übliche desolate Flair und von Jeans (außer dem üblichen Ausmaß an bejeansten Passanten) weit und breit nichts zu sehen Ich nahm im Steakhouse einer verlotterten shoppingmall das bisher teuerste und ekligste Essen meines chinesischen Daseins zu mir  und folgte dann meiner Wünschelruten in Richtung „City of Jeans“ –  nur einem kleinen Punkt auf meiner Navigationskarte und dort als Bekleidungsgeschäft spezifiziert. Ramschläden mit Türmen ausrangierter Nähmaschinen, an denen noch der blaue Schweiß verflossener Jeans klebte, waren die ersten Anzeichen, dass ich wohl auf dem richtigen Weg bin.

 

Im Auge des Sturms dann ein riesiges frisch errichtetes Distributions-Center mit einem showroom neben dem anderen . Jeans in 1000-fachen Varianten – mein erschlafftes Auge war jedoch innerhalb kürzester Zeit mit der Identifizierung der allenfalls mikroskopisch feststellbaren Unterschiede überfordert.

Freitag, 2 Uhr mittags: die protzigen Teetisch-Lackungeheuer für die geschäftlichen Verhandlungen sind bereits weitgehend unbesetzt und die Rolladen der meisten Etablissements fallen. Pustekuchen, dass es hier, wie man mir sagte, kein Wochenende gibt. Ich würd mich auch nur noch nach clear rivers and beautifull mountains sehnen, müßte ich länger als 1 Tag hier zubringen. Also Schotten dicht – Siesta.

 

Ich laufe meiner Wünschelrute nach zum Fluß runter. Der Fluß als Naherholungszone ist wahrscheinlich eine relativ neue Erfindung – noch sieht er tatsächlich aus wie eine schlimme Kloake und riecht auch so. Aber man arbeitet dran: Es wird ein begrünter Uferstreifen angelegt und in der Ferne wühlt sich ein einsamer Bagger durch den stinkigen Morast. Ein kleiner Tempel ist gerade frisch renoviert und eine junge Dame steht mit einem Bündel Räucherstäbchen vorm Altar und verbeugt sich inbrünstig. Draußen vor der Tür gehts etwas rüder zu, aber der dicke heilige Baum auf dem dörflichen Platz hats zum Glück überlebt. Ansonsten vermischt sich wie immer unbekümmert alles mit allem : ein etwas ungepflegt wirkendes Chaos – nichts für pingelige Seelen, aber alles in friedlichem Nebeneinander.

 

Im Weitergehen häufen sich die Haufen und statt Autoreifen und Gemüse, quellen nun Berge voller Jeans auf die Strasse. Unerschüttert von der schieren Masse, als wärs das Natürlichste von der Welt, werden sie in aller Seelenruhe per Hand irgendeiner periferen Prozedur unterzogen : Die Fäden mit einer Rasiermaschine entfernt, mit Nieten torturiert oder vom Sysiphos gestapelt. Im Hintergrund rattern die Mschinen, dazwischen, das was man immer und überall macht: essen, schlafen, Kinder betüddeln oder in Frieden links liegen lassen, palavern, smartphones bedienen.

Es ist früher Abend und nach mittlerweile 5 stündigen Streifzügen durch dicke Luft, Staub und Gomorrah fühle ich doch irgendwie gerädert. Nichts wie weg hier! Doch es fährt kein Bus mehr zurück nach Guangzhou. Notgedrungen suche ich mir ein Hotelzimmer , ermattet stelle ich die Klimaanlage an, um den omnipräsenten Gestank zu beseitigen: – es hilft!

 

Zweifel überkommen mich an meinem naiven Weltverbesserungs -Drang, der mich auf die Idee mit der Exkursion brachte. Die Vorstellung mit 25 Studenten hier gaffend und dozierend durch die Gegend zu tappen, kommt mir mittlerweile wie der völlige Schwachsinn vor. Sie kennen das alles: im verrumpelten Stoffdorf ein paar Kilometer vom Campus entfernt, für das sich Liu Ann meinte entschuldigen zu müssen, siehts genauso aus. Eben nur: Ugly – no reason to go there!

Internetrecherche:. Ich versuche eine Fabrik ausfindig zu machen, die vielleicht bereit ist, einen Einblick in ihre Produktionsabläufe zu geben, so dass man vielleicht ein bißchen mehr erfährt. Eine der Firmen wirbt auf Englisch mit Fotos von riesigen modernen und sauberen Produktionsräumen mit unendlichen Produktionskapazitäten.: ich würde am nächsten Tag versuchen dort eine Führung zu arrangieren.

Das Viertel in dem mich der Taxifahrer am nächsten Tag absetzt, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem vom Vortag, Vor den offenen Fabrikräumen sitzen überall vor sich hin puzzelnde Arbeiterinnen, die sich mit unbekümmerten Gleichmut nahezu würdevoll durch die Stoffberge arbeiten. Wahrscheinlich sind alle Stockwerke der umliegenden Häuser voller jeansbeschweißter Nähmaschinen, denn ab und zu fliegen ein paar fette Bündel Jeans aus den Fenstern. Die gesuchte Firma ist nicht auffindbar, geschweige denn ein englischsprechender Ansprechpartner. Tianjiao erkundigt sich inzwischen besorgt aus der Ferne nach mir und fragt, ob ich immer noch eine Exkursion nach Xintang machen will. Ich sehe ein, dass ich am Ende meines Chinesischs bin: Keine Ahnung!

 

(Was die Fotos betrifft fiel es mir sehr schwer, mich von den Klischees des Grauens, die nachdrücklich kleben bleiben,  frei zu machen – ich hatte irgendwie das Bedürfnis den Hoffnungsschimmer einer besseren Zukunft zu verstärken und habe deshalb  lächelnde Menschen in die erste Reihe gestellt.)